02.+03.07.2022 – Schmuck+ Reuchlin 2022

Bild der Schmuck-Ausstellung

Pforzheimer Kurier vom 03.07.2022:

Schmuckschaffende machen Pforzheim einzigartig

Bei Schmuck plus geht es um künstlerische Gestaltungen und einen der bekanntesten Söhne der Stadt

Im alten, aber womöglich bald neu genutzten, Schlachthof von Pforzheim ist manches Potenzial schon gehoben. Dies bestätigen beim zweitägigen Auftritt von „Schmuck plus“ die weitgereisten unter den 40 Ausstellerinnen und Ausstellern. Während sich Pforzheim daran erfreut, dass die noch junge Sektion Schmuck im Kulturrat der tot geglaubten Plattform für Schmuckgestalter neues Leben verleiht, unterstreichen die Gäste das Bedeutende daran: Allein das einzig auf Schmuck ausgerichtete Angebot hat Alleinstellungscharakter in der Republik.
Für Rainer Söll kommt ein zweiter Aspekt hinzu. „Die Leute waren so aufgeschlossen“, begründet er, weshalb er mit seinen Schrumpfschläuchen und anderen zu dekorativen Zwecken „umgedeuteten Materialien“ bereits zum zweiten Mal aus Hannover angereist ist. Martina Ege aus Baltringen bei Ulm bestätigt dies. Die Goldschmiedin erzählt, sie habe sich zunächst nicht vorstellen können, dass das läuft bei so viel Konkurrenz.
Der nun zweite Auftritt im rauen Industrieambiente habe sie überzeugt, wie „ihre ganz besonderen Teile angekommen sind“, die sie neben traditionellem Goldschmuck zeigt: Es gab Fachgespräche über die stacheligen, gelegentlich bunten Silberstücke für Hals und Finger „und der Umsatz hat auch gepasst“. Das Feedback ist Balsam für die kleine Gruppe um Kerstin Mayer, die die Ausstellung ermöglicht und in diesem Jahr mit dem 500. Todestag von Johannes Reuchlin am 30. Juni verbindet. Sie ist „sehr glücklich, wieder im Schlachthof als idealen Ort für die Ausstellung sein zu dürfen“.
Schirmherrin, Bürgermeisterin Sibylle Schüssler (Grüne), nutzt die Gelegenheit, die Zukunft in den Blick zu nehmen. Sie stellt bei der Eröffnung das Kuratorenteam für die Ornamenta vor, das mit dem „Body Light“ von Szilvia Zita Rémiás aus Budapest schon ein Objekt für die 2024 geplante Gemeinde Databrunn ausgemacht hat. Die Brosche mit LED-Beleuchtung am Stand der Freunde des Schmuckmuseums „begrüßt“ die Besucher der Ausstellung. Sie ist bei Weitem nicht das einzige futuristische Stück, bezogen auf die Zukunft der Pforzheimer Schmuckindustrie. Die Goldschmiedeschule trägt im Raum neben ihrem Schlachthof-Atelier mit Preziosen dick auf, in einer der Sheddachhallen ist die Hochschule Trier mit 24 Masterarbeiten vertreten. Maiskörner zeigen in dieser kleinen Sonderausstellung, dass die Kunst des Schmückens auch in der Welt edler Steine hochkarätig sein kann, ohne dass Karat eine Rolle spielen. Dem morbiden Charme der Schlachthofreste setzt Christian Gutmann etwas entgegen. Der Pforzheimer gehört zu den wenigen, die sich für eine Sonderausstellung mit Reuchlin auseinandergesetzt hat. Das Wort „Human“ (menschlich) ziert nur die eine Seite seiner Arbeit, auf der anderen steht „Animal“ (Tier).
Für die Berlinerin Katharina von Briskorn ist das „alles sehr inspirierend“. Sie erlebt eine Premiere, nachdem sie normalerweise nur im Umfeld von Kunsthandwerkern ausstellt. Dass das nicht zu einem monothematischen Ereignis mit Verkaufsoption wird, ist nicht nur der Musikinitiative Pforzheim und Enzkreis zu verdanken. Durch die Kooperation erlebt der alte Schlachthof seinen ersten Bach, wie Christof Grosse von der Genossenschaft Gewerbekultur anmerkt, die das Areal für Wohnzwecke entwickelt. Geigerin Hanlin Liang vom Jade-Quartett spielt zur Eröffnung dessen G-Moll-Solosonate. Später begleiten sie und andere Musiker das Publikum, das beim Rundgang auch Fotografisches erlebt. So sehen die teils von weit angereisten Besucher unter anderem von Jens Alemann großformatige Aufnahmen sogenannter Lost places – verlassener Orte, zu denen auch der alte Pforzheimer Schlachthof lange gehörte.

Edith Kopf, PZ