07.12.2022 – Verkanntes Menschenrecht? Aktuelle Auseinandersetzungen um die Religionsfreiheit
Pforzheimer Zeitung vom 09.12.2022:
Kein Privileg der Frommen
Studium Generale: Professor Heiner Bielefeldt beleuchtet im Reuchlinjahr die Religionsfreiheit.
Beim Studium Generale an der Hochschule Pforzheim ist Professor Heiner Bielefeldt zu Gast gewesen. Der Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg stellte seinen Vortrag im Walter-Witzenmann-Hörsaal unter das Motto „Verkanntes
Menschenrecht? Aktuelle Auseinandersetzungen um die Religionsfreiheit“. Der Vortrag hat auch zu den Veranstaltungen im Reuchlinjahr 2022 gehört.
Zum Auftakt zählte Bielefeldt Johannes Reuchlin substanziell in die „Ahnengalerie der Religionsfreiheit“. „Vieles von dem, was Reuchlin damals vor über 500Jahren angedacht hat, ist nach wie vor aktuell, wenn auch in ganz neuen Drehungen“, stellte er fest. Er berichtete von seinen Aufgaben bei der UN als Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit. „Religionsfreiheit ist ein sehr ernstes Thema“, sagte er. „Manchmal nimmt es dramatische Ausmaße an und wir erleben Verweigerungen der Religionsfreiheit in allen Teilen der Welt, wenn auch in völlig unterschiedlichen Formen und Intensitätsgraden.“ Er stellte fest, dass Religionsfreiheit gelegentlich verdreht werde und sogar als Instrument kulturkämpferischer Polarisierung um ihren menschenrechtlichen und freiheitsrechtlichen Sinn gebracht werde. Der Professor machte auf eine seltsame Wahrnehmung aufmerksam, bei der Menschenrechte und Religionsfreiheit voneinander getrennt betrachtet werde. Außerdem zeigte er auf, dass Religionsfreiheit mitunter ins Autoritäre hinein verbogen werde, als Rückendeckung für Gesetze, die eigentlich menschenrechtsverletzend sind. „Menschen in Todestrakte zu schicken wegen religiöser Beleidigungen, das ist natürlich menschenrechtlich völlig indiskutabel“, so Bielefeldt. Er betonte, dass Religionsfreiheit ein Menschenrecht sei, das Menschen schütze und nicht die Ehre Gottes. Dabei hob er hervor, dass Religionsfreiheit nicht nur ein Privileg der Frommen sei, sondern ein Recht für alle, auch für Atheisten.
Löbliche geben Impuls
Die Idee, Bielefeldt einzuladen, stammte von Christoph Mährlein, Obermeister der Löblichen Singergesellschaft von 1501. Bielefeldt wurde 1954 in der Nähe von Aachen geboren und studierte an den Universitäten von Bonn und Tübingen Philosophie, Theologie und Geschichte.
Seine Habilitation folgte dann an der Universität Bremen mit einer Arbeit über die Philosophie der Menschenrechte. Zu seinen Tätigkeiten gehörte unter anderem in den Jahren 2012 bis 2016 das Amt des UN-Sonderberichterstatters für Religions- und Weltanschauungsfreiheit.
Claudia Keller, Pforzheimer Zeitung