20.03.2022 – Dr. Hendrik Stössel: Reuchlin und die Reformation

Museum Johannes Reuchlin

Pforzheimer Zeitung vom 20.03.2022:

Pforzheim. Im Rahmen der Gottesdienstreihe zum Reuchlinjahr 2022 ist Hendrik Stössel am Sonntag nach Pforzheim in die Stadtkirche gekommen. Den Gottesdienst hat er unter das Thema „Reuchlin und die Reformation“ gestellt. In seiner Predigt hat er dabei auch einen Bogen zu den aktuellen Geschehnissen in der Welt geschlagen.

Der Amtsvorgänger von Dekanin Christiane Quincke war bis zum Jahr 2012 Pfarrer der evangelischen Christusgemeinde und Dekan des Kirchenbezirks Pforzheim Stadt, ehe er als Referent der Badischen Landeskirche an die Melanchthon Akademie nach Bretten ging. Gemeindemitglied Fritz Philipp Mathes begrüßte knapp 40 Gottesdienstbesucher in der Stadtkirche. Er verlas mit dem Hebräerbrief 12 1-3, das Wort der Heiligen Schrift, auf das sich später Stössel in seiner Predigt bezog. Unter anderem ist darin die Rede von „einer Wolke von Zeugen um uns“. „Jesus sagt, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das von Gott kommt“, erklärte Stössel.

Zum Hebräerbrief erklärte er, dass darin die Gewissheit wachgehalten werde, dass wir von Gottes Wille umgeben sind. „Auch wenn wir in einer Wirklichkeit sind, die uns erschöpft“, sagte er. Bezogen auf den Hebräerbrief bezeichnete er unter anderem Hildegard von Bingen, Franz von Assisi und Melanchthon aber auch Reuchlin als Zeugen. „Wir zählen ihn zur Wolke, die uns umgibt“, erklärte der Pfarrer. Auch wenn Johannes Reuchlin seinem Verwandten Philipp Melanchthon kritisch gegenübergestanden habe, so seien sich die beiden Männer über die Bedeutung von Bildung einig gewesen, durch die der Mensch erst „entroht“ werde. Stössel gab zu bedenken, was das über jene aussage, die heute mit Kriegen, Mord und Totschlag die Welt überzögen und über jene, die dazu leise Beifall klatschten.

Bereitschaft, Neues zu lernen

Nach Reuchlin gehe es bei Bildung nicht um Bücher und Auszeichnungen, sondern um die niemals versiegende Bereitschaft Neues zu lernen. „Die Idee, nichts Neues zu lernen, fertig zu sein, nicht mehr neugierig zu sein, war der Anfang der Barbarei“, erklärte Stössel Reuchlins Sichtweise. Deshalb habe sich dieser auch gegen die Vernichtung jüdischer, literarischer Quellen ausgesprochen. Stössel führte weiter aus, dass sich zu Reuchlins Zeit der Mensch seiner Selbst bewusstgeworden sei. „Daran entfaltet sich die Reformation“, führte er aus. „An die Stelle des geweihten Priesters tritt der getaufte Christenmensch, der alleine vor Gott stehen muss, wenn nicht Jesus als Fürsprecher neben ihm steht“.

Zum Abschluss forderte er zum gemeinsamen Gebet gegen die Aggressoren dieser Welt auf. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst durch Kirchenmusikdirektorin Heike Hastedt.

Claudia Keller, Pforzheimer Zeitung