30.01.2022 – Festgottesdienst zu Reuchlins Geburtstag
Pforzheimer Zeitung vom 31.01.2022:
Mutig für die Menschlichkeit
Pforzheims großer Sohn Johannes Reuchlin setzte auf das Licht des Wissens. Er widerstand mächtigen Feinden. Zum Geburtstag feiert ihn ein Gottesdienst.
„Reuchlin ist ein Vorbild für die Vision eines menschlichen Europas“, sagt die Pfarrerin der Friedensgemeinde Heike Reisner-Baral am Sonntagvormittag beim Gottesdienst in der Schloßkirche. „Ich bin stolz auf den bekanntesten Sohn unserer Stadt und bewundere seinen Mut, sich gegenüber dem mächtigen Apparat der Kirche für die Menschlichkeit einzusetzen.“ Anlass für die Veranstaltung zu Ehren des Humanisten Johannes Reuchlins geben sein 500. Todestag in diesem Jahr und sein 567. Geburtstag am 29. Januar.
Ausgehend von Reuchlins Gedankengut, sucht Reisner-Baral im Rahmen des Gottesdienstes das Gespräch mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Gunther Krichbaum. Sie sprechen über politische und gesellschaftliche Fragen in Bezug auf die Europäische Union. Nach seiner Vision gefragt, antwortet Krichbaum: „Europa eine Seele geben“.
Nicht selbstverständlich
Er erinnert an den Mut der Gründungsväter Charles de Gaulle und Konrad Adenauer und betont, dass Toleranz und Frieden, für die auch Reuchlin steht, keineswegs eine Selbstverständlichkeit sind. Nach wie vor müsse man für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufstehen, streiten und kämpfen. Machthaber wie Putin sähen in den Werten eine Bedrohung. Länder wie die Ukraine, die sich auf das europäische Gedankengut zubewegen, dürfe man deshalb nicht allein lassen. Dasselbe gelte für Menschen, die inner-halb der eigenen Landesgrenzen Anfeindungen erfahren. Aus Krichbaums Sicht braucht es dafür vor allem Dialog. Im Großen in Form von Diplomatie und im Kleinen in Form von Begegnungen und Austausch, die sich durch Städtepartnerschaften und Sprachunterricht fördern lassen.
Torte, Ständchen, Nickerchen
Was Johannes Reuchlin selbst dazu gesagt hätte? Reisner-Baral zitiert ihn mit den Worten „verbrennt nicht, was ihr nicht kennt“. Krichbaum stellt sich vor, dass Reuchlin die Demokratie wie die Verwirklichung eines fantastischen Traums vorkommt. Gespielt von Gunnar Gstettenbauer, Mitglied des Amateurtheatervereins am Kulturhaus Osterfeld, ist Reuchlin eigentlich auch höchstpersönlich anwesend. Allerdings hat ihn die Zeitreise zu sehr erschöpft, um sich einzumischen. Die Interpretation seiner Person überlässt er anderen und schläft die meiste Zeit über im Hintergrund. Bei seinen kurzen Auftritten erfreut er sich am Orgelspiel von Rolf Schönstedt, dem Ständchen von Axel Pfrommer auf dem Flügelhorn, seinen Gästen sowie der Geburtstagstorte, die der Chefdramaturg des Stadttheaters Peter Oppermann für ihn anfertigen ließ.
Sofia Morelli, PZ