Raphael-Kirche wird zur Werkstatt
Pforzheimer Zeitung vom 02.02.2022:
Hochschulstudierende eröffnen Ausstellung an diesem Sonntag.
Arbeiten der Abteilung Skulptur widmen sich dem Humanismus.
Kirche und Kunst treten bei dieser Ausstellung in eine ganz besondere Verbindung. Sie bietet kein durchgängiges Konzept, sondern einen spannenden Werk-statt-Charakter. Und sie illustriert, auf welch vielfältige Weise sich 37 Studierende der Hochschule Pforzheim mit dem Gestalten skulpturaler Elemente auseinandersetzen. Etwa 50 unter der Leitung von Professor Vito Pace in den Pandemie-Semestern entstandene Arbeiten sind ab diesem Sonntag in der Raphael-Kirche zu sehen, später auch flankierend zur Werkschau. Thematische Klammer ist der Humanismus, als pädagogisches Prinzip für die Lehre, erklärt Pace. Noch vor dem Reuchlin-Jubiläumsjahr und da-von losgelöst, habe er begonnen, sich damit zu beschäftigen.
Experimentierraum und Labor: Die brutalistische Sichtbeton-Architektur bereitet die Bühne. Da gibt es Skizzen zu sehen, roh an die Wand geklebt, aber auch archaische Arbeiten, Stile von Renaissance bis Bauhaus, sowie konzeptuelle Installationen, in Interaktion mit dem Kirchen-raum: das den Tod reflektierende Werk in der Krypta, luftig-leicht nach oben steigende Engel, die an einen Stuhl gelehnte, sich scheinbar auflösende menschliche Form, oder von den Wänden ragende Hände. Mal umschließen sie eine Weltkugel, mal geht ein Nagel mittendurch. Die auffallend vielen Hände in der Raphael-Kirche, als Symbol für den Menschen und seine Interaktion, berühren Mitkuratorin Monika Ziemer. „Wir gestalten die Welt mit unseren Händen – und die Kunstwerke.“ Aber auch das Herz, Zeichen für Liebe und Empathie, oder Ohren als jenes Sinnesorgan, durch das die Welt zu uns dringt, hebt Ziemer hervor.
Einige Ohren hat Rena Riedel gestaltet, mal kleinformatig gestickt, mal dreidimensional als große Muschel. Inspiriert habe sie die aktuelle Situation. „Man muss wieder zuhören, um sich auf etwas einzulassen“, sagt sie. Desiree Wenskus studiert ebenfalls Visuelle Kommunikation. Ihre am Eingang positionierte Skulptur ist von Gegensätzen beeinflusst. „Wenn im Leben etwas passiert und sich die Situation ins Gegenteil dreht, wie bei Corona.“ Ausgangspunkt war ein Luftballon: leicht, verformbar, warm. Durch die Arbeit mit Gips durchlebt das Objekt eine Transformation, wird schwer und kalt. Zusammengequetscht durch ein dickes Seil löst es Beklemmung aus. Auch Nico Alber (Transportation Design) arbeitet mit Kontrasten. Seine Hände sind teils glatt, an den Fingern aber rau und unbearbeitet. Er verwendete natürliche und künstliche Materialien.
Ein wesentliches Element, das die Ausstellung mit dem Bildungsmoment verbindet, sind, so Pace, die humanistischen Studien. Während des Seminars wurden daher neben den traditionell dem Humanismus zugeschriebenen Themen – das Entdecken der menschlichen Natur und Würde – auch konzeptionelle Fragen behandelt.
In den oberen Stockwerken der Kirche sind unterschiedliche Bearbeitungen eines Materialblocks zu sehen. Hier etwas weglassen, dort etwas hinzufügen, um zur Essenz vorzustoßen: „Es geht in der Bildhauerei immer um die Suche nach Form durch Subtraktion und Addition – und nach der zentralen Idee“, sagt Pace. Dies sei die wichtigste Aufgabe fürs Studium.
Die Ausstellung „Werkstatt Humanismus“ wird am Sonntag, 6. Februar, 11.45 Uhr, in der Raphael-Kirche, Turnstraße 5, in Pforzheim eröffnet. Sie ist bis 24. Februar dienstags von 15 bis 16.30 Uhr und donnerstags von 12 bis 13 Uhr zu sehen sowie zur Werkschau der Hochschule Pforzheim am Freitag, 11. Februar, und am Samstag, 12. Februar, von 11 bis 17 Uhr. Bildergalerie auf www.pz-news.de
Hat eine Skulptur von beklemmender Wirkung geschaffen: Desiree Wenskus.
Gestaltet seine Hand mit vielen Kontrasten: Nico Alber.
Michael Müller, Pforzheimer Zeitung