30.06.2022 – Das Reuchlin-Gymnasium feiert Johannes Reuchlin mit einem Festabend in der Schloßkirche St. Michael
Pforzheimer Zeitung vom 02.07.2022:
Festabend holt uralten Gelehrten ins Heute
Mithilfe vieler Schüler erlebt die Schloßkirche eine originelle Hommage. Darbietungen, Musik und Puppenspiel begeistern das Publikum.
Johannes Reuchlin sitzt auf einem Sessel, hat die Augen geschlossen und schläft — oder meditiert. Aus dem Hintergrund erklingen Flötentöne. So beginnt der Festabend des Reuchlin-Gymnasiums zum und am 500. Todestag des großen Philosophen, Humanisten, Juristen und Diplomaten der Renaissancezeit in der Schloßkirche. „Es ist spät, und ich werde müde“, sagt Reuchlin eine Stunde später, gähnt, legt sich wieder in den Sessel und schläft ein. Zuvor verabschiedet er sich noch mit den Worten „Gute Nacht, Pforzheim“, was bei einem Philosophen vielleicht mehr bedeutet als ein nichtssagender Abschiedsgruß.
Kurzweilig und witzig
Dabei ist das ungewöhnliche Programm, das Schulleiter Kai Adam, Geschichtslehrerin Kathrin Schlittenhardt sowie Schüler der neunten und zehnten Klassen erdacht und gestaltet haben, alles andere als ermüdend. Keine langatmigen Reden und Lobhudeleien, wie sie bei vielen Jubiläen gang und gäbe sind. Stattdessen überraschen die Mitwirkenden mit kurzweiligen, unterhaltenden, witzigen, originellen und zudem wissensvermitteln-den Darbietungen, unterteilt in drei völlig unterschiedliche Blöcke. Aufgelockert wird das Ganze durch Beiträge des achtköpfigen Blockflötenensembles der Musikschule unter der Leitung von Adelheid Bartel.
In die Rolle des berühmten Sohns der Stadt, der 1455 in Pforzheim geboren wurde und 1522 in Stuttgart starb, schlüpft an diesem Abend die 15-jährige Reuchlin-Gymnasiastin Lisa-Maria Thiel aus der Klasse 9b, die in Ich-Form munter und souverän durch den Abend führt. „Ich bin Johannes Reuchlin. Als ich ein kleiner Junge war, habe ich hier musiziert“, informiert sie die 250 geladenen Gäste in der Schloßkirche.
Pfarrer Martin Schleifer, der den ersten Block leitet, weist auf die bemerkenswerte Leistung des ersten bedeutenden deutschen Hebraisten christlichen Bekenntnisses hin: „In einem Gutachten hat er sich entschieden gegen das Verbrennen jüdischer Bücher eingesetzt.“ Und fügt hinzu: „Reuchlin lebte zu einer Zeit, die zu lernen begann, den einzelnen Menschen wahrzunehmen. Das war der Beginn des Humanismus.“ Deshalb steht auch dieser Teil unter dem Leitsatz „Reuchlin — Seht die Menschen!“, Thalea Jenkner (9c), Johannes Lutz (9a), Laura Ogrodnik (9a) und Lucia Schäfer (9c) berichten über ihre Lieblingsfächer, Hobbys und Wünsche und enden je mit den Worten: „Seht mich an —ich bin ein Mensch.“
Thiel liest vor, was Mitschüler über den Nationalsozialismus recherchiert und aus Ge-sprächen mit einem jüdischen Zeitzeugen erfahren haben: „Er erzählte uns, wie häufig er neue Sprachen und neue Kulturen kennenlernen musste.“ Die Erkenntnisse fasste die Klasse so zusammen: „Wir kämpfen gemeinsam gegen Antisemitismus, genau wie es Reuchlin gemacht hat.“
Im zweiten Block taucht Raphael Mürle vom Figurentheater mit einer Reuchlin-Puppe auf. Er fordert den Wiederauferstandenen auf: „Lassen Sie uns einen Brief schreiben.“ Der Universalgelehrte wundert sich: „Ich selber kann mir meine erneute Existenz nicht erklären, muss sie aber als Faktotum hinnehmen.“ Carsten Dittrich und Christina Klittich haben an dem unterhaltsamen Text mitgewirkt.
Zukunftsträchtiger Vordenker
Der dritte Teil ist mit „Johannis Revchlin Phorcensis — Johannes Reuchlin auf den Spuren eines Europäers“ überschrieben. Daniel Berinde (10c), Lennart Dührkop (10b), Erik Edelmann (10a) und Lukas Markert (10a) präsentieren, koordiniert von Kathrin Schlittenhardt, einen Film, in dem etwa Liane Bley vom Internationalen Beirat, Vertreter der deutsch-europäischen Gesellschaften und der Partnerstädte die kontinentale Bedeutung des Vordenkers würdigen. Der Reuchlin-Beauftragte Christoph Timm stellt dabei die Frage: „Schaffen wir es, Reuchlins Botschaft auch an die nächste Generation weiterzugeben?“
Dieser Abend wird zu einem vollen Erfolg und schreit geradezu nach einer Wiederholung. Mitgewirkt haben zudem Schloßkirchen-Pfarrerin Heike Reisner-Baral, die Ökumenische Citykirche, die Jüdische Gemeinde und die Löblichen Singergesellschaft von 1501. Dass zu Wein und der Musik des Duos „Leyla“ (Lisa Biggel und Lars Quincke) beim Ständerling im Freien der Himmel seine Schleusen nicht öffnet, ist möglicherweise auch ein Verdienst des Katholiken Reuchlin und seiner Beziehungen zu oben. Sagte doch Goethe über ihn: „Wer will sich mit ihm vergleichen?“
Bruno Knöller, Pforzheimer Zeitung