15.10.2022 – Verleihung des Reuchlinpreises der Stadt Pforzheim
Pforzheimer Zeitung vom 16.10.2022:
„Die andere Seite sehen“
Reuchlinpreisverleihung an Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
Wirken fördert Verständnis für die Vielfalt der islamischen Welt.
„Heute, in einer Welt, die durch digitale Kommunikation zusammenwächst, sind die ethischen Fragen, die den Humanisten Reuchlin umtrieben, aktueller denn je: Wie können wir gut zusammenleben in einer zunehmend multireligiösen, vielfältigen, säkularen Gesellschaft?“ Oberbürgermeister Boch hatte nachdenkenswerte Fragen in seiner Begrüßungsrede zur Reuchlinpreisverleihung im gut gefüllten Theater Pforzheim parat und bezog diese ganz direkt auf die gesellschaftliche Situation der Stadt Pforzheim.
Die gesamte Aufzeichnung der Preisverleihung sowie die Manuskripte der Laudatio und der Preisträgerinnenrede finden Sie hier.
Unstimmigkeiten kein Thema
Mit Gedenken an den 500. Todestag des aus Pforzheim gebürtigen Humanisten Johannes Reuchlin wurde der 31. Reuchlinpreis an Katajun Amirpur verliehen. Der iranisch-deutschen Islamwissenschaftlerin waren im Vorfeld israelfeindliche und antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden (PZ hat berichtet). Die Unstim-migkeiten wurden bei der Feier aber nicht thematisiert.
Professor Christoph Strohm, Reuchlinpreis-Beauftragter der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, betonte in seiner Laudatio den herausragenden Beitrag, den Amirpur dazu leiste, die Vielfalt der islamischen Welt im Iran wahrzunehmen und sie auf dem Hintergrund der historischen Entwicklungen zu verstehen. „Katajun Amirpur wirbt nicht für den Iran, geschweige denn für die dortige Theokratie“, sagte er. Sie wolle sich nicht zur Verteidigerin des Islam machen, geschweige denn derer, die Religion für sich in Beschlag nähmen. Aber sie finde doch zu einer Form der Darstellung, die dazu aufrufe, die andere Seite beziehungsweise die anderen Seiten zu sehen. „So erschließt sie die Pluralität, die ernstzunehmen geboten ist“, sagte Strohm. Damit erfülle sie in ausgezeichneter Weise die Kriterien für die Verleihung des Reuchlinpreises.
Vor einer Vielzahl von Honoratioren, darunter Bundestagsabgeordneter Gunther Krichbaum, Landtagsabgeordneter und OB-Stellvertreter Hans-Ulrich Rülke, den früheren Stadtoberhäuptern Christel Augenstein und Gert Hager, Vertretern der Reuchlin-Familie, dem Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Bernd Schneidmüller und Altstadtrat Joachim Rösch für die Pforzheimer Reuchlin-Gesellschaft verlieh der Oberbürgermeister den Reuchlinpreis in Form von Urkunde und Medaille an Katajun Amirpur. Die sichtlich erfreute Preisträgerin trug sich danach ins Goldene Buch der Stadt Pforzheim ein.
Ihre ursprünglich geplante Rede über pluralistische Religionstheologie hatte Amirpur zu-gunsten eines Exkurses zur derzeitigen Situation im Iran gekürzt. Ihrer Einschätzung nach ist ein Stadium der Revolution erreicht, dessen Ausgang aber noch völlig offen ist. Die Aufstände bezeichnete sie als feministisch, nicht grundsätzlich anti-islamisch, aber post-islamistisch. „Es geht nicht darum, Frauen statt Männer an die Macht zu bringen. Es geht um Selbstbestimmung für alle.“ Das islamistische Experiment im Iran, Staat und Islam gleichzusetzen, werde von den Iranern heute abgelehnt, erklärte die Reuchlin-Preisträgerin.
Musikalisch gestaltet wurde die Feierstunde im Stadttheater durch das Südwestdeutsche Kammerorchester unter der Leitung von Gastdirigent Aurélien Bello. Zu Beginn erklang der schwungvolle 1. Satz aus Haydns Sinfonie D-Dur, zum Schluss der energische vor-anschreitende 1. Satz aus Antonio Rosettis Sinfonie C-Dur.
Das Südwestdeutsche Kammerorchester gestaltet die Feier musikalisch.
Uta Volz, PZ