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Reuchlinjahr 2022

Reuchlinjahr 2022

Mit dem Reuchlinjahr 2022 feiert Pforzheim ein Jubiläum zum Mitmachen für die ganze Stadtgesellschaft. Die Botschaften des Humanisten und Anwalts der Menschenrechte sind heute noch hoch aktuell.

Pforzheimer Zeitung vom 28.03.2022:

Marina Müllerperth und Raphael Mürle im Brötzinger „Domicile“.
Veranstaltung des Lions Clubs Johannes Reuchlin für den guten Zweck.

Virtuos dargebotene Musik, humorvolles Figurentheater, frisch zubereitete Speisen und ein stilvolles Ambiente: Was der Lions Club Pforzheim Johannes Reuchlin am Sonntag geboten hat, ist der pure Genuss gewesen. Mit Marina Müllerperth und Raphael Mürle hat er zwei hochkarätige und überaus begabte Künstler in den Jazzclub „Domicile“ geholt, wo sie bei einem kurzweiligen, gut zweieinhalbstündigen Programm für den guten Zweck aufgetreten sind: Der Erlös geht an die PZ-Initiative „Menschen in Not“ und an „Blickpunkt Auge“. Als Lions stelle man immer wieder Veranstaltungen wie diese auf die Beine, um Geld für soziale Zwecke zu sammeln, erklärt Clubmaster Axel Bäuerle, der sich über die zahlreichen Besucher freut.
Als Erster betritt Raphael Mürle die Bühne. Aber nicht allein: Niemand Geringeren als Johannes Reuchlin hat er dabei, den Humanisten, der 1455 in Pforzheim geboren wurde und vor genau 500 Jahren in Stuttgart gestorben ist. Intensiv hat Mürle sich mit Reuchlin befasst und lange überlegt, wie er die historische Persönlichkeit am besten darstellen kann. „Es geht darum, ihn als Typ kennenzulernen“, erklärt Mürle im PZ-Gespräch und verrät, dass das Projekt auf Initiative und mit Unterstützung des Lions Club Pforzheim Johannes Reuchlin entstanden ist. Mürle wird mit seinem Programm auch an
Schulen gehen.
Im „Domicile“ dreht sich alles um das Gutachten, mit dem Reuchlin letztlich erfolgreich die Vernichtung jüdischer Schriften verhinderte. En passant vermittelt Raphael Mürle historisches Wissen. Meisterhaft gelingt es ihm, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Stürme des Beifalls und der Begeisterung löst auch der Auftritt von Marina Müllerperth aus. Auf dem Klavier des „Domicile“, einem wohlklingenden Konzertflügel, nimmt sie das Publikum mit auf eine Reise durch die Epochen der klassischen Musik. Es geht vorbei an Bach, an Chopin und an Ravel. Müllerperth brilliert mit perfektem Tastenanschlag und
einer äußerst feinfühligen Spielweise, die selbst kleinste Nuancen abbildet. Wie selbstverständlich
fließen die Melodien vor sich hin, wie ein zarter Klangteppich, der sich sanft über den gesamten Saal des „Domicile“ legt. Müllerperth hat schon einmal dort gespielt: als Kind, zusammen mit anderen Jungstudenten der Karlsruher Professorin Sontraud Speidel. Inzwischen hat Müllerperth ihren Masterabschluss in der Tasche. Sowohl als Solopianistin als auch in Orchestern ist sie international gefragt. Unter dem Namen „Belisama Classics“ hat sie ihr eigenes Festival gegründet, das dieses Jahr im Juli stattfinden soll und Frauen in der Musik in den Mittelpunkt rückt.

Etwa Lili Boulanger, eine französische Komponistin, von der Müllerperth mit „D’un jardin clair“, „Cortège“ und „D’un vieux jardin“ drei kurze Stücke präsentiert, die impressionis-tisch und malerisch wirken, wie ein sonniger Frühlingstag. In Rachmaninoffs Preludes Nr. 5 und Nr. 12 erinnern glitzernde Achtel- und Sechzehntel-Bewegungen an sanft perlen-des Wasser, in Chopins Ballade Nr. 3 wechseln sich heitere, fröhlich klingende Passagen mit dunkel und bedrohlich anmutenden ab, um die tragische Liebesgeschichte einer Wassernixe zu erzählen.
Flink hüpfen Müllerperths Finger über die Tasten, ganz besonders bei Ravels „Alborada del gracioso“, dem lebendig-dynamischen Morgenlied des Clowns. Stehende Ovationen für diese brillanten Interpretationen – so lange, bis die Zugabe folgt.
In den Pausen zieht es die Besucher hinaus auf die sonnige Terrasse, wo auf den Musikgenuss ein kulinarischer folgt – Fingerfood von „La Signora“, mit viel Liebe und aus besten Zutaten vorbereitet.

Nico Roller, Pforzheimer Zeitung

Pforzheimer Zeitung vom 26.03.2022:

Kommentierte Lesung mit Musik zu Reuchlin, Hesse und Lindenberg.
Projekt „Hinterm Horizont macht Schule“ zum Abschluss gebracht.

Toleranz – Respekt – Menschlichkeit, diese drei humanistischen Begriffe waren nicht nur der Titel einer kommentierten Lesung mit Musik im Forum im Turmquartier der Sparkasse Pforzheim Calw als Beitrag zum Reuchlinjahr. Sie vereinen auch drei Persönlichkeiten, die in unterschiedlichen Zeiten und mit unter-schiedlichen Lebenszielen lebten beziehungsweise noch leben.
Vorstandsvorsitzender Stephan Scholl freute sich, ins ausverkaufte Haus blicken zu können, und begrüßte im Namen der Stiftung „Mit Herz und Hand“, dem Ausrichterin der Veranstaltung. Er stellte Regina Bucher, Leiterin des Hermann-Hesse-Muse-ums in Montagnola, und den Schauspieler Ernst Süss vor. In einer abwechslungsreichen Lesung mit jeder Menge originaler Texte stellten sie Reuchlin, Hesse und Lindenberg vor und in Beziehung zueinander. Mit einfühlsam und virtuos gespielter Blockflötenmusik entführte Helen Buck, Preisträgerin im Bundeswettbewerb Jugend musiziert, begleitet von Erika Shimoda am Cembalo, in die Zeit um 1500, in der Johannes Reuchlin (1455-1522) lebte und wirkte, der zu den wichtigsten europäischen Humanisten zählt.

Einsatz für Toleranz

Durch intensive Sprachstudien in Latein, Griechisch und Hebräisch erschloss er religiöse und philosophische Urtexte und schuf damit die Grundlagen für die Bibelübersetzung ins Deutsche. Reuchlin rief Christen, Juden und Muslime zum Dialog auf und setzte sich für Toleranz und friedliches Miteinander der Religionen ein.
Hermann Hesse (1877-1962) erlebte zwei Weltkriege im Schweizer Exil mit und erhob seine Stimme gegen Krieg und Nationalismus. Er leistete praktische Hilfe für Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg. In seinen Werken setzt er sich dafür ein, nicht automatisch den allgemeinen Strömungen zu folgen, sondern authentisch zu handeln. Früh erkannte er die diktatorische Gefahr der nationalsozialistischen Ideologie und half jüdischen Verwandten und Freunden, vertriebenen Künstlern und politisch Verfolgten. 1946 erhielt Hesse auf Vorschlag Thomas Manns den Nobelpreis für Literatur. Bekanntgeworden ist er aber auch mit seinen heiteren Aquarellen aus dem Tessin.
Udo Lindenberg (geboren 1947) ist eine lebende Legende und einer der ersten, der seit den 1970er-Jahren Rockmusik auf Deutsch singt. Er thematisiert gesellschaftliche Zu- und Missstände treffsicher und wortgenau. Er positioniert sich gegen Neonazis und bezieht als überzeugter Pazifist Stellung gegen soziale Missstände und wirtschaftliches Ungleichgewicht, gegen Homophobie sowie Fremdenfeindlichkeit und engagiert sich für Umweltschutz. Als Maler bringt er es mit seinen Likörellen zu einigem Ruhm. 2006 ruft er die Udo-Lindenberg-Stiftung ins Leben, die sich für die Schwächeren auf der Welt, aber auch für authentische junge Musikerinnen und Musiker engagiert.
Zum musikalischen Förderprogramm gehört auch das Schulprojekt „Hinterm Horizont macht Schule“, an dem in Pforzheim coronabedingt zweieinhalb Jahre bis zur Premiere diese Woche (PZ hat mehrfach berichtet) gearbeitet wurde, wie der musikalische Leiter Noah Fischer und die Regisseurin Regina Engstler erzählten. Ein Auftritt von Alexandru Gabor (Udo) und Giuliana Hardt und Jeanna Scheffner (beide Jenny) beschloss den interessanten Abend.

Uta Volz, Pforzheimer Zeitung

Pforzheimer Zeitung vom 24.03.2022:

Bäckerinnung hat pfiffige Idee zum Reuchlinjubiläum

Pforzheim-Würm. Die Prototypen – Laugen- und Rahmteiggebäcke als Initial „JR“ geformt – stammen aus Arno Krähers Backstube. An diesem Morgen legen Obermeister der Bäckerinnung Alb-Neckar-Nordschwarzwald Martin Reinhardt, Bäckermeister Kräher und Ideengeber Peter Lohrer in der Würmtalbäckerei Hand an, um die salzigen und süßen Kreationen zu Ehren Johannes Reuchlins zu formen.

Da jeder bäckereiübliche Teig dafür geeignet sei, hofft Reinhardt jetzt auf Zuspruch der Mitgliedsbetriebe, vor allem jener in Pforzheim und Umgebung. Er wolle sie schriftlich mit der Idee vertraut machen. Ob sie diese die Kreationen den Kunden anbieten werden, sei eine individuelle Entscheidung. Grund genug gibt es dazu im Reuchlinjahr 2022, das die Goldstadt mit über 150 Veranstaltungen begeht. Und so kann sich Kräher vorstellen, seine Backwaren anlässlich von Reuchlin-Veranstaltungen herzustellen, je nach Nachfrage. Lohrer, der in seiner aktiven Zeit als Fachberater für technische Lehrer für das Regierungspräsidium sowohl Reinhardt als auch Kräher ausgebildet hat, will Kinder aber auch deren Großmütter ermutigen, die „JR“-Kreationen nachzubacken und über den großen Sohn der Stadt ins Gespräch zu kommen. Die Grundrezepte dafür finden sich auf www.peter-backblog.de

Martina Schaefer, Pforzheimer Zeitung

Pforzheimer Zeitung vom 20.03.2022:

Pforzheim. Im Rahmen der Gottesdienstreihe zum Reuchlinjahr 2022 ist Hendrik Stössel am Sonntag nach Pforzheim in die Stadtkirche gekommen. Den Gottesdienst hat er unter das Thema „Reuchlin und die Reformation“ gestellt. In seiner Predigt hat er dabei auch einen Bogen zu den aktuellen Geschehnissen in der Welt geschlagen.

Der Amtsvorgänger von Dekanin Christiane Quincke war bis zum Jahr 2012 Pfarrer der evangelischen Christusgemeinde und Dekan des Kirchenbezirks Pforzheim Stadt, ehe er als Referent der Badischen Landeskirche an die Melanchthon Akademie nach Bretten ging. Gemeindemitglied Fritz Philipp Mathes begrüßte knapp 40 Gottesdienstbesucher in der Stadtkirche. Er verlas mit dem Hebräerbrief 12 1-3, das Wort der Heiligen Schrift, auf das sich später Stössel in seiner Predigt bezog. Unter anderem ist darin die Rede von „einer Wolke von Zeugen um uns“. „Jesus sagt, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das von Gott kommt“, erklärte Stössel.

Zum Hebräerbrief erklärte er, dass darin die Gewissheit wachgehalten werde, dass wir von Gottes Wille umgeben sind. „Auch wenn wir in einer Wirklichkeit sind, die uns erschöpft“, sagte er. Bezogen auf den Hebräerbrief bezeichnete er unter anderem Hildegard von Bingen, Franz von Assisi und Melanchthon aber auch Reuchlin als Zeugen. „Wir zählen ihn zur Wolke, die uns umgibt“, erklärte der Pfarrer. Auch wenn Johannes Reuchlin seinem Verwandten Philipp Melanchthon kritisch gegenübergestanden habe, so seien sich die beiden Männer über die Bedeutung von Bildung einig gewesen, durch die der Mensch erst „entroht“ werde. Stössel gab zu bedenken, was das über jene aussage, die heute mit Kriegen, Mord und Totschlag die Welt überzögen und über jene, die dazu leise Beifall klatschten.

Bereitschaft, Neues zu lernen

Nach Reuchlin gehe es bei Bildung nicht um Bücher und Auszeichnungen, sondern um die niemals versiegende Bereitschaft Neues zu lernen. „Die Idee, nichts Neues zu lernen, fertig zu sein, nicht mehr neugierig zu sein, war der Anfang der Barbarei“, erklärte Stössel Reuchlins Sichtweise. Deshalb habe sich dieser auch gegen die Vernichtung jüdischer, literarischer Quellen ausgesprochen. Stössel führte weiter aus, dass sich zu Reuchlins Zeit der Mensch seiner Selbst bewusstgeworden sei. „Daran entfaltet sich die Reformation“, führte er aus. „An die Stelle des geweihten Priesters tritt der getaufte Christenmensch, der alleine vor Gott stehen muss, wenn nicht Jesus als Fürsprecher neben ihm steht“.

Zum Abschluss forderte er zum gemeinsamen Gebet gegen die Aggressoren dieser Welt auf. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst durch Kirchenmusikdirektorin Heike Hastedt.

Claudia Keller, Pforzheimer Zeitung

Gemeinsam mit Klavierschülerinnen und -schülern aus dem Reuchlin-Gymnasium bearbeitete die Klavierlehrerin Eva-Maria Heinz das Thema »Reuchlin und die Musik seiner Zeit«, die sie im Vorspiel präsentierten.

Pforzheimer Zeitung vom 14.03.2022:

Sphärische Klänge
Klanginstallation erinnert an Johannes Reuchlin. Der Gelehrte schuf einen Dialog zwischen den Kulturen.

Sphärisch wirkt die Musik, die den gesamten Raum erfüllt und durch die Menschen hindurchzugehen scheint. Wenn man herumläuft, verändert sich der Klang. „Genesis“ heißt die Klanginstallation, die sich im Stiftschor der Schloßkirche befindet. Bei einer Führung im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit hat der Pforzheimer Reuchlin-Beauftragte Christoph Timm sie am Samstagmorgen vorgestellt und dabei einmal mehr deutlich gemacht, wie weit Johannes Reuchlin seiner Zeit voraus war. Schon 2015 ist die Klanginstallation komponiert worden. Timm erklärte, dass sie auf einer musikalischen Notation basiert, die Reuchlin 1518 in seine Sprachlehre „De Accentibus et Orthographia Linguae Hebraicae“ aufgenommen hat.

Liturgische Praxis

Vor Augen hatte er dabei die liturgische Praxis des Kantorengesangs in der Synagoge. Denn Lesungen aus der Tora wurden nicht gesprochen, sondern gesungen. Die Tonfolgen, zu denen man das Hebräische singt, konnte man mit bestimmten Buchstabenkombinationen über dem Text kennzeichnen und so dem Vorsinger deutlich machen, welche Töne er zu singen hat. Fast so, wie wenn man sich Gitarrengriffe aufschreibt. Reuchlin tat etwas für seine Zeit Einzigartiges: Er notierte liturgische Gesänge aus einer Synagoge in einer weltlichen Notenschrift. Der Priester und Mathematiker Johann Böschen-stein schrieb die Kantillationen, also die Tonfolgen, des Kantors in der Tenorstimme.
Das hatte er bei einem Rabbiner gelernt. Reuchlin selbst war nie in einer Synagoge. Auch Christoph Schilling, ein Priester aus Luzern, hat an den Notensätzen mitgewirkt, indem er die Polyphonie von Sopran, Bass und Alt hinzufügte, sodass es insgesamt vier Stimmen gibt. Timm sagt, aus dem Gesang in der Synagoge werde so ein Dialog zwischen verschiedenen Kulturen. „Das ist für diese Zeit etwas Außergewöhnliches.“ Reuchlin habe gewusst, wie wichtig Vielfalt für eine freie und lebendige Gesellschaft ist. Bei der Klanginstallation handelt es sich um eine von der Stadt beauftragte Komposition, die die Musikerin Catalina Vicens aus Basel geschaffen hat. Sie verwendete Reuchlins Grammatik als Vorlage und formte aus den Tonfolgen ein zehnminütiges Musikstück. Timm sagt, für Reuchlin sei Musik „ein Lebenselixier“ gewesen. Er bezeichnet ihn als Visionär und erklärt, mit der Zeit habe er sich immer mehr der Position angenähert, dass Juden nicht nur Dialogpartner, sondern Brüder und Schwestern sind. Zwar wollte er sie als bekennender Christ durchaus davon überzeugen, dass Jesus der Heiland ist. Aber Zwang lehnte er kategorisch ab und akzeptierte andere Glaubensrichtungen. „Eine sehr moderne Position, die nicht dem Konsens der damaligen Gesellschaft entsprach“, sagt Timm und berichtet, dass Böschenstein es als Dozent für Hebräisch es an der Universität in Wittenberg nicht lange aushielt, weil Luther nicht gerade ein Freund der Juden gewesen sei. Die Klanginstallation steht im Stiftschor, der heute zum Museum Johannes Reuchlin gehört. Es befindet sich dort, wo nach Reuchlins Tod seine Bibliothek für viele Jahre aufbewahrt worden ist.

Nico Roller, PZ

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