Reuchlinjahr 2022
Reuchlinjahr 2022
Mit dem Reuchlinjahr 2022 feiert Pforzheim ein Jubiläum zum Mitmachen für die ganze Stadtgesellschaft. Die Botschaften des Humanisten und Anwalts der Menschenrechte sind heute noch hoch aktuell.
Pforzheimer Zeitung vom 15.10.2022:
Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde bleibt Feier fern
Rami Suliman, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Pforzheim, hat am Freitag bekannt gegeben, die Verleihung des Reuchlinpreises zu boykottieren. Erkenne die Arbeit von der Preisträgerin Katajun Amirpur nicht – Kern seiner Kritik ist jedoch ein Schreiben, in dem Äußerungen von Amirpur als israelfeindlich und antisemitisch kritisiert wurden (die PZ berichtete). Er bestätigte, mit Amirpur über den Sachverhalt gesprochen zu haben. Aus der Welt geräumt sei längst nicht alles. „Ich habe sie gebeten, ihre Regime-Kritik noch einmal öffentlich zu bekräftigen. Die Findungskommission habe ihr davon abgeraten.“ Er habe Familienmitglieder, die aus dem Iran hätten flüchten müssen und sei deshalb sensibel, was das Thema angehe. Seine Kritik gehe jedoch nicht nur an Amirpur, stellt Suliman auf PZ-Anfrage klar. Sie gehe auch in Richtung Stadt und Findungskommission. „Reuchlin und seine Lehren haben an sich wenig mit dem Islam zu tun – muss der Preis an eine Islamwissenschaftlerin gehen?“ Es gebe sicher genug Experten im Kulturamt, die noch andere würdige Empfänger finden könnten. „Warum bekommt so eine Frau so einen Preis?“
cia, PZ
Die gesamte Aufzeichnung der Preisverleihung sowie die Manuskripte der Laudatio und der Preisträgerinnenrede finden Sie hier.
Pforzheimer Zeitung vom 16.10.2022:
„Die andere Seite sehen“
Reuchlinpreisverleihung an Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
Wirken fördert Verständnis für die Vielfalt der islamischen Welt.
„Heute, in einer Welt, die durch digitale Kommunikation zusammenwächst, sind die ethischen Fragen, die den Humanisten Reuchlin umtrieben, aktueller denn je: Wie können wir gut zusammenleben in einer zunehmend multireligiösen, vielfältigen, säkularen Gesellschaft?“ Oberbürgermeister Boch hatte nachdenkenswerte Fragen in seiner Begrüßungsrede zur Reuchlinpreisverleihung im gut gefüllten Theater Pforzheim parat und bezog diese ganz direkt auf die gesellschaftliche Situation der Stadt Pforzheim.
Die gesamte Aufzeichnung der Preisverleihung sowie die Manuskripte der Laudatio und der Preisträgerinnenrede finden Sie hier.
Unstimmigkeiten kein Thema
Mit Gedenken an den 500. Todestag des aus Pforzheim gebürtigen Humanisten Johannes Reuchlin wurde der 31. Reuchlinpreis an Katajun Amirpur verliehen. Der iranisch-deutschen Islamwissenschaftlerin waren im Vorfeld israelfeindliche und antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden (PZ hat berichtet). Die Unstim-migkeiten wurden bei der Feier aber nicht thematisiert.
Professor Christoph Strohm, Reuchlinpreis-Beauftragter der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, betonte in seiner Laudatio den herausragenden Beitrag, den Amirpur dazu leiste, die Vielfalt der islamischen Welt im Iran wahrzunehmen und sie auf dem Hintergrund der historischen Entwicklungen zu verstehen. „Katajun Amirpur wirbt nicht für den Iran, geschweige denn für die dortige Theokratie“, sagte er. Sie wolle sich nicht zur Verteidigerin des Islam machen, geschweige denn derer, die Religion für sich in Beschlag nähmen. Aber sie finde doch zu einer Form der Darstellung, die dazu aufrufe, die andere Seite beziehungsweise die anderen Seiten zu sehen. „So erschließt sie die Pluralität, die ernstzunehmen geboten ist“, sagte Strohm. Damit erfülle sie in ausgezeichneter Weise die Kriterien für die Verleihung des Reuchlinpreises.
Vor einer Vielzahl von Honoratioren, darunter Bundestagsabgeordneter Gunther Krichbaum, Landtagsabgeordneter und OB-Stellvertreter Hans-Ulrich Rülke, den früheren Stadtoberhäuptern Christel Augenstein und Gert Hager, Vertretern der Reuchlin-Familie, dem Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Bernd Schneidmüller und Altstadtrat Joachim Rösch für die Pforzheimer Reuchlin-Gesellschaft verlieh der Oberbürgermeister den Reuchlinpreis in Form von Urkunde und Medaille an Katajun Amirpur. Die sichtlich erfreute Preisträgerin trug sich danach ins Goldene Buch der Stadt Pforzheim ein.
Ihre ursprünglich geplante Rede über pluralistische Religionstheologie hatte Amirpur zu-gunsten eines Exkurses zur derzeitigen Situation im Iran gekürzt. Ihrer Einschätzung nach ist ein Stadium der Revolution erreicht, dessen Ausgang aber noch völlig offen ist. Die Aufstände bezeichnete sie als feministisch, nicht grundsätzlich anti-islamisch, aber post-islamistisch. „Es geht nicht darum, Frauen statt Männer an die Macht zu bringen. Es geht um Selbstbestimmung für alle.“ Das islamistische Experiment im Iran, Staat und Islam gleichzusetzen, werde von den Iranern heute abgelehnt, erklärte die Reuchlin-Preisträgerin.
Musikalisch gestaltet wurde die Feierstunde im Stadttheater durch das Südwestdeutsche Kammerorchester unter der Leitung von Gastdirigent Aurélien Bello. Zu Beginn erklang der schwungvolle 1. Satz aus Haydns Sinfonie D-Dur, zum Schluss der energische vor-anschreitende 1. Satz aus Antonio Rosettis Sinfonie C-Dur.
Das Südwestdeutsche Kammerorchester gestaltet die Feier musikalisch.
Uta Volz, PZ
Pforzheimer Kurier vom 10.10.2022:
Die Stadt Pforzheim begeht den 500. Todestag von Johannes Reuchlin. Nun gießt der Pforzheimer Autor Gerhard Brändle Wasser in den Wein.
Reuchlinpreis 2022
27.09.2022
Am Samstag, 15. Oktober 2022 wurde die deutsch-iranische Islamwissenschaftlerin Prof. Katajun Amirpur mit dem Reuchlinpreis der Stadt Pforzheim geehrt. Dieser Wissenschaftspreis mit 67-jähriger Tradition im Geiste des Dialogs der Religionen geht damit erstmals an eine Muslimin.
Seit 1955 haben 30 Geisteswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler die von der Stadt Pforzheim auf Vorschlag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften verliehene Auszeichnung für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften erhalten. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.
Katajun Amirpur studierte an der Universität Bonn Islamwissenschaft und Politologie sowie schiitische Theologie in Teheran. Sie lehrte danach an verschiedenen deutschen Universitäten, war Assistenzprofessorin für Moderne Islamische Welt an der Universität Zürich. Ab 2011 lehrte sie als Professorin für Islamische Studien an der Universität Hamburg. 2018 übernahm sie den Lehrstuhl für Islamwissenschaft an der Universität zu Köln.
In ihrer Festrede ging die Preisträgerin aus aktuellem Anlass auf die Situation im Iran ein. Die aktuellen Proteste im Iran haben Katajun Amirpur als Kennerin der dortigen Verhältnisse zu einer in den deutschsprachigen Medien viel gefragten Persönlichkeit gemacht.
Einen Live-Mitschnitt der Preisverleihung finden Sie ab sofort in unserer Jubiläumschronik.
Pforzheimer Zeitung vom 19.09.2022:
Offizieller Auftakt der Interkulturellen Woche mit 30 Veranstaltungen.
Zugleich geht die Koki-Reihe „Die Mischung macht´s“ zu Ende.
Einen schöneren offiziellen Auftakt kann man sich für eine Interkulturelle Woche eigentlich nicht wünschen. Nach einem emotionalen Abend, der sicherlich nicht nur nach Meinung des Kulturhausleiters Bart Dewijze wieder einmal gezeigt hat, dass Musik verbindet, münden die Reaktionen des großen Publikums darin, dass es die Mehrheit jubelnd und im Takt klatschend von den Sitzen im Großen Saal des Osterfeld reißt.
Das italienische Temperament der Band „Clan Die Suoni“ hat sozusagen den Damm gebrochen. Der war vorher schon bröckelig, dafür sorgten musikalische Darstellungen von deutschen, arabischen, serbischen, türkischen Interpreten, Musik aus Nahost, Musik, die zu Herzen ging.
Die Eröffnung der Interkulturellen Wochen (IKW) – übrigens der 47. Deutschlandweit – die laut Bürgermeisterin Sibylle Schüssler in Pforzheim in einen ganzen interkulturellen Monat mündet, beinhaltete auch den Abschlussabend der Koki-Reihe „Pforzheim – Die Mischung macht´s revisited“, die Ende Juli den letzten Filmabend mit Büffet hatte.
Laut Christine Müh, Geschäftsführerin des Kommunalen Kinos, und der „Mischung“-Projektleiterin und Koordinatorin der IKW Mirzeta Haug kamen in den Filmen 27 Protagonisten zu Wort. Aus Zeit- und Geldmangel, so Müh, habe man allerdings keine neuen Filme drehen können, sondern alte aus den Jahren 2010/11 und 2017 gezeigt und die Protagonisten von damals erneut eingeladen, um zu fragen, wie es ihnen inzwischen ergangen ist. „Aus der Notsituation heraus ist etwa Wunderbares entstanden“, befand Projektleiterin Haug. Und oft hätten die Interviewten (mit und ohne Migrationshintergrund, die meisten aber mit) auch Moderatorentätigkeiten übernommen.
In kurzen und oft per Handy aufgenommenen Statements dankten die Teilnehmer und lobten das Projekt, durch das sie so viele nette Menschen kennengelernt hätten. Die aus Kolumbien stammende Margarete Horlbeck schwärmt. Sie habe jeden Abend mit ihrem Mann besucht und sich „in das Projekt verliebt“.
Knapp 30 Veranstaltungen machen auf die Vielfalt der Stadt mit ihren über 140 Nationen aufmerksam während der Interkulturellen Woche(n). Passend zum 500. Todestag des Humanisten Johannes Reuchlin, der in diesem Jahr begangen wird, und mehr als passend auch zum Motto dieses bundesweiten Projekts zitiert Bürgermeisterin Schüssler den Humanisten: „Erkundet das Fremde, zerstört es nicht.“ Auch Bart Dewijze, der die Migranten augenzwinkernd als Entwicklungshelfer bezeichnet, bringt ein passendes Beispiel. „Kultur sich anpassen, das funktioniert nicht. Wo zwei sich begegnen, da entsteht Neues.“
Susanne Roth, Pforzheimer Zeitung
Pforzheimer Kurier vom 13.09.2022:
Der Reuchlinbeauftragte der Stadt Pforzheim, Christoph Timm, zieht eine positive erste Halbzeitbilanz der Veranstaltungen zum Reuchlinjahr. „Die kühnsten Erwarten wurden übertroffen.“