29.06.-01.07.2022 – 9. Internationaler Reuchlinkongress
Pforzheimer Zeitung vom 30.06.2022:
Reuchlin als Träumer
Eröffnung des 9. Internationalen Reuchlinkongresses. Professor Christoph Markschies hält Vortrag im Gasometer.
Mit dem für Fachleuten interessanten und auch für Laien verständlichen Vortrag „Christliche Blicke auf Judentum und Islam bei Reuchlin und heute“ von Professor Christoph Markschies (Berlin) wurde der 9. Internationale Reuchlinkongress im mit rund 200 Besuchern gut gefüllten Gasometer eröffnet. Der Referent – nach eigenem Bekunden kein Reuchlinforscher – hatte einen philosophischen Ansatz gewählt und seinen Ausführungen Reuchlins Schrift „De arte cabalistica“ aus dem Jahr 1517 zugrunde gelegt.
Internationale Experten
Oberbürgermeister Peter Boch freute sich über die Wertschätzung, die Pforzheims berühmtesten Sohn und einer herausragenden Gestalt der europäischen Geschichte mit dem Reuchlinkongress zuteilwird. Matthias Dall’Asta, wissenschaftlicher Leiter des Kongresses, stellte das Motto „Narrative und Bilder“ vor, hinter dem sich eine Vielzahl gut erforschter, aber auch ganz neu aufgetauchter Fragestellungen verbirgt, die an diesem Wochenende von internationalen Experten vorgestellt und diskutiert werden.
Der international renommierte und vielfach ausgezeichnete Theologe, Philologe und Philosoph Professor Christoph Markschies erläuterte zunächst Inhalt und Hintergrund der dreibändigen Schrift „De arte cabalistica“, für das umfangreiche Vorarbeiten Reuchlins belegt sind. In ihm ist Reuchlins tolerantes und freundliches Verständnis des Judentums in Form eines konstruierten Trialogs zusammengefasst. Markschies bezog sich in seinen Ausführungen auch auf den Reuchlinpreisträger von 1969, Gershon Scholem.
Nach Auffassung des Referenten fußt Reuchlins tolerante Sicht des Judentums auf der Großthese des altgriechischen Philosophen Platon, der „theologia prisca“, der allerersten Religion, aus der alle anderen Religionen entstanden sind, also Christentum, Judentum, Islam und heidnische Religionen. Reuchlin blickt dabei aber stets mit dem Auge des Christen auf das Judentum, der Islam ist in dem Trialog nur als Schema vorhanden – worin sich durchaus Parallelen zur Gegenwart erkennen lassen, so der Referent.
Die „Suggestion der Einheit“ sieht Markschies als problematischen Zug Platons. Reuchlins Neffe Melanchthon, ein hellsichtiger Kritiker, der Unstimmigkeiten in der Schrift ausmachte, lehnte in Übereinstimmung mit Luther Neuplatoniker, Gnostiker, Kabbalisten und Wiedertäufer ab, wodurch es zum Zerwürfnis mit Reuchlin kam.
Aktuelle Ansätze
Reuchlin, so Markschies kritikfrei, hat sich die Welt schöngeschrieben und den Versuch unternommen, Wirklichkeit zu gestalten. Hoffnungsbilder zu erträumen sei ein Ansatz, den man heute vielleicht wieder aufnehmen müsste. Bestimmte Ansätze in der komplizierten und schwer zu verstehenden Schrift sind aktuell, so Markschies, andere problematisch, manche noch nicht so weit erforscht. Sich darüber in ungezwungener Haltung zu unterhalten, sei Aufgabe des Reuchlinkongresses.
Musikalisch passend gestaltet wurde die Eröffnung von Johannes Hustedt (Querflöte) und Melania Inés Kluge (Klavier) mit Werken von Johann Friedrich Reichardt und Felix Mendelssohn Bartholdy.
Alle Vorträge des Reuchlinkongresses werden im Lauf der kommenden Woche eingestellt unter www.reuchlinjahr2022.de
Uta Volz,Pforzheimer Zeitung