29.06.-01.07.2022 – 9. Internationaler Reuchlinkongress
Pforzheimer Zeitung vom 01.07.2022:
Vereinter Ruf nach europaweiter Strahlkraft
Macher des Reuchlin-Kongresses ziehen begeistert Bilanz und wollen
Bedeutung Reuchlins stärken.
Der direkte Ausfluss des dreitägigen, hochkarätig besetzten Reuchlin-Kongresses ist ein Positionspapier, das aufhorchen lässt. Dessen Kernsatz ist eine klare Aufforderung. „Wir rufen gemeinsam dazu auf, den großen europäischen Humanisten Johannes Reuchlin (1455-1522) aus Pforzheim ins Gedächtnis der europäischen Erinnerungskultur einzuschreiben“, heißt es darin.
Der Austausch im Reuchlinhaus habe vor Augen geführt, welch dichtes, globales Kommunikationsnetzwerk es zu diesem Humanisten gebe, betont der städtische Reuchlin-Beauftragte Christoph Timm. Die stellvertretende Kulturamtsleiterin und Projektkoordinatorin Claudia Baumbusch stellt die „große Breite an Orten und Menschen“, heraus, die sich mit dem berühmten Sohn Pforzheims beschäftigen, weswegen sich alle um ein stärkeres, europaweites Erinnern bemühen sollten: „Das hätte Reuchlin verdient.“
„Großes Kino“ aus Bologna
Hochzufrieden und beeindruckt zeigt sich auch der wissenschaftliche Leiter Matthias Dall’ Asta vom Verlauf des Kongresses. Ein durchaus „riskanter“, aber eben auch „hoch-spannender“ und „großartiger Forschungsansatz sei etwa jener von Ramona Roller aus Zürich gewesen, die Reuchlins Briefwechsel einer statistischen Analyse, also eines mathematischen Verfahrens unterzog – mit erhellenden Erkenntnissen. Oder Professor Saverio Campanini aus Bologna, „weltweit der absolute Spezialist für jüdische und christliche Kabbala“: Von ihm aufgezeigt zu bekommen, wo überall man Reuchlin wiederentdecken kann, sei „großes Kino“ gewesen, so Dall’ Asta. Die Macher heben auch die für einen erkrankten Referenten eingesprungenen Reuchlin-Gymnasiasten, die ihr Schulprojekt zur Neuübersetzung eines Reuchlin-Briefs vorstellten, als „etwas ganz Besonderes“ hervor. Insgesamt seien verschiedenste Blickwinkel und Disziplinen zur Sprache gekom-men, Historiker, Philologen und Theologen hätten „wunderbar interagiert“ und „lebhaft diskutiert“, freut sich der wissenschaftliche Leiter. Im Jahr des 500. Todestags Reuchlin habe man einen globalen, umfassenden Ansatz verfolgen wollen, und „hier in Pforzheim gab es für uns die Möglichkeiten, all diese Fäden zu verknüpfen.“
Der Kongress, den etliche interessierte Bürger mitverfolgt hätten, habe vor Augen ge-führt, dass Reuchlin eben „kein verstaubtes Thema einer älteren Generation“ sei, bekräf-tigt Claudia Baumbusch. Dies sei ein „absoluter Gipfel an gelehrten Personen“ gewesen, deren Differenzierungen und Erkenntnisse „unglaublich gewinnbringend“ übertragbar auf die heutige Situation seien. Es sei „beeindruckend, dass so etwas in Pforzheim möglich ist“ – auch im Vergleich zu Jubiläumsveranstaltungen in Tübingen oder Stuttgart. Timm unterstreicht: „Die Teilnehmer sind begeistert von der Gastfreundschaft und davon, was hier auf die Beine gestellt worden ist.“
Claudius Erb, Pforzheimer Zeitung